Expedition Yaro

Peru 1989


Kapitel 28
Die Privat Patrouille

Das Gefühl, wenn man in die Enge getrieben ist und es keinen Ausweg mehr gibt, ist wie eine Schlinge um den Hals, die sich immer enger zuzieht.
Für mich gibt es drei verschiedene Arten zu sterben:
Der kontrollierte Tod;
Der unkontrollierbare Tod;
und der plötzliche Tod.
Der kontrollierte Tod ist der „Suizid, man hat sein Sterben selbst in der Hand, hat, in seinen Beweggründen, die volle Kontrolle zur Selbsttötung, zu welchem Zeitpunkt es passieren soll, und wenn man es richtig macht, tut es nicht weh. Dieser Tod käme für mich niemals in Frage.
Oder, man liegt ohne Bewusstsein im Sterbebett und die Kontrolle haben die Angehörigen und die Ärzte. Sie entscheiden, zu welchem Zeitpunkt die lebenserhaltenden Maschinen abgeschaltet werden. Aber diese Kontrolle, diese Aufgabe, würde ich auch nicht übernehmen wollen.
Der plötzliche Tod ist: 
Man wird auf brutalster Weise aus dem Leben gerissen, man spürt nichts, es tut nicht weh, man hatte keine Zeit mehr zum nachdenken; Schluß; Ende; Aus; das war’s. Ein bevorzugter Tod für mich, was mir natürlich sehr leid täte.
»Ich bin mir sicher, dass es ein Leben nach dem Tod gibt, in einer anderen Form, in einer anderen Welt. Vielleicht fängt das Leben neu an, da, wo man aufgehört hat klar zu denken, in der Anderswelt, sagen wir mal nach der Art, die man sich sehnlichst wünscht. Das Leben ist zu komplex, um einfach aufzuhören.«
Und dann gibt es noch den unkontrollierbaren Tod; das heißt, man hat selbst die Kontrolle über das Sterben verloren, du bist bei vollem Bewusstsein und weißt genau, jetzt, in den nächsten Minuten oder Sekunden, passiert es. Da hilft nur noch ein Wunder.
Und in so einer Situation, in so einer misslichen Lage, war ich früh morgens auf Mati Paqi geraten.
Ruhig und friedlich lagen die zwei verschneiten Hütten mit dem Corral eingebettet zwischen den vergletscherten Bergen, aber der Schein trog. Sechs vermummte, schwer bewaffnete Männer hatten mich umzingelt und der Kreis, den sie bildeten, wurde immer enger. Wie gelähmt stand ich in der Mitte, sang leise das Kinderlied und wartete auf den finalen Schuss oder auf ein Wunder. Ich hätte es sofort beenden können, wenn ich meinen Revolver gezogen hätte, der in meinem Gürtel steckte. Aber ich hatte meine Hände oben und zögerte es hinaus. Das kleine Wunder, das ich erhoffte, kam von rechts hinten. Mit einem lautstarken Palaver in ihrer Muttersprache, stand Luana mit zerzausten Haaren auf der Mauer. Aus ihrem Poncho schaute ihre Hand mit dem Revolver heraus. In ihrem Quechúa Dialekt konnte ich vier  Namen verstehen; „Señor Ortéga; Don Waltero; Don Pedro und Señora Sánchez!“.
Ich konnte mir nur einen Reim drauf machen, was sie den verblüfften Männern aus dem Hintergrund zu rief:
„Hey Leute, wenn ihr nur einen Schuss abgebt und diesen Mann erschießt, in dem Moment knall ich einen von euch ab!“, sie zielte auf einen der vorderen Männer. „Ich bin Señora Sánchez!; Señor Ortéga, mein Mann und ein Freund des Bürgermeisters von Tantamayo, hat uns nach Monzón geschickt um etwas abzuholen!; Der Mann in der Mitte hier, das ist Don Waltero, ein Freund von Don Pedro, er begleitet mich!“, wie eine Löwin stand Luana auf der Mauer und verteidigte mich.
Ich war genauso verblüfft wie die Männer um mich herum. Noch vor ein paar Minuten kletterte ich über ihren nackten, geilen Körper. Jetzt stand sie auf der Mauer und war bereit, einen Menschen zu erschießen. Die Lage spitzte sich zu. Einer der Männer zielte mit seinem Gewehr auf Luana, die anderen hatten mich im Visier.
Völlig überraschend, auch für mich, zeigte sich Xenia in voller Montur auf der anderen Seite des Corral. Sie rief in die Runde:
„Hola chicos, no lo tomaría!; Hey Leute, ich würde es nicht darauf ankommen lassen!“, sie zielte mit einer kleinen Handfeuerwaffe auf die Männer, die kalt erwischt wurden. Ich stand im Mittelpunkt und war sprachlos. Noch vor einigen Minuten lagen beide noch nackt und entspannt im Tiefschlaf. Und jetzt diese skrupellose Entschlossenheit, einen Menschen zu töten, um einen anderen zu beschützen. Diese Begierde, die beide ausstrahlten, machten sie zu etwas Besonderem.
»Noch heute denke ich darüber nach, wo Xenia diesen kleinen Revolver her hatte, wo sie ihn in ihrem Bündel versteckte. Auch Luana wußte nichts davon. Vermutlich war es ihre eigene Lebensversicherung. Und ich denke, in der damaligen Zeit, in diesen weit abgelegenen Regionen, hatte jeder eine kleine Lebensversicherung bei sich«
Die fast aussichtslose Lage war sehr angespannt und alle hatten einen nervösen Zeigefinger am Abzug ihrer Waffen. Urplötzlich nahm einer sein Gewehr runter und rief:
„Mensch Luana, was machst du hier?“, das hier ist kein Platz für zarte Wesen!
Xenia sprang von der Mauer. Langsam, mit vorgehaltenem Revolver, ging sie kaltblütig auf die Männer zu. Ich sah in ihren Augen diese Verruchtheit, die die Blicke der anderen auf sich zog.
„Seni, bleib stehen!; Diego, sage deinen Jungs, sie sollen ihre Waffen runter nehmen, wir sind friedlich hier!“, schrie Luana.
„Du gehörst doch zu Don Pedros Leuten, oder?“
„Was macht ihr hier oben am Culloq Punta?“, fragte Luana.
„Wir kontrollieren diese Region, der Staudamm wurde gesprengt!“, sagte Diego.
Die Lage entspannte sich. Xenia steckte ihren Revolver weg und kam zu mir in die Mitte.
„Wie geht es dir?“, fragte sie mich.
„Als ich euch gesehen habe, ging es mir besser?“, sagte ich leise.
Luana kam auch zu mir und meinte:
„Hey, das war knapp vorbei!“, sie lächelte und beide schmiegten sich an mich. Ihre Körper waren angespannt. Ich fühlte diese
Kühnheit und dieses Charisma, das sie so einzigartig machten.
„Bleibt ihr auf ein Kaffee, Diego?“, fragte Luana.
„Nein danke, wir müssen weiter, wir wollen zu Don Pedro, der ist auf dem Weg nach Paucas!“, sagte Diego.
„Hast du von unserem Lehrer gehört?“, fragte Luana, er wurde erschossen, wie unseren Bürgermeister.
„Ja, es ist eine schreckliche Sache!“, erwiderte Diego.
Seine Leute setzten sich zum Schutz vor dem kalten Wind an die Mauer, aber einer blieb in unserer Nähe, er traute wohl dem Frieden nicht. Doch dann ging er  langsam an mir vorbei. Ein kurzer Blickkontakt, er sah finster aus; „Con permiso Don Waltero!“, sagte er und setzte sich zu den anderen.
Nach einem kurzen Plausch
schwangen sie sich auf ihre Pferde und ritten weiter.
„Vaya con Dios Diego!“, rief Luana hinterher.
„Que le vaya bien Luana!“, er winkte und weg waren sie.
Xenia war derweil in der Hütte verschwunden und bereitete unser Frühstück.
Luana umarmte mich und sagte:
„Ich hatte große Angst um dich Walter, die waren bereit dich zu töten!“, ich küsste und beruhigte sie.
„Alles noch mal gut gegangen!“, sagte ich und dann gingen wir zu Xenia in die Hütte, die hatte sie ziemlich eingeheizt.
Sie backte Eier und Bohnen und war schon wieder halb nackt. Ein geiler Anblick.
„Seni, du kommst doch mit uns?“, fragte Luana.
„Aber ja doch, ich lasse euch nicht alleine!“, sagte sie und lächelte verschmitzt.
„Gut, du reitest bei Walter mit, den Sattel befestigen wir auf dem Packpferd, zu zweit lässt es sich ohne Sattel besser reiten!“, sagte Luana.
Nach dem Frühstück packten wir unsere Sachen, beluden das Packpferd und ritten über den Cuyoq Punta in Richtung Monzón in das tropische Tiefland.

Aber das ist wieder die nächste Geschichte.

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